Samstag, 14. Dezember 2013

Eine entscheidende Wahl in Honduras – und von wem sie entschieden wird

Ein Bericht von Andrés Schmidt, Mitglied der Arbeitsgruppe HondurasDelegation und Mitglied der Menschenrechtsdelegation zur Wahl im November
erschienen bei der Grünen Bildungswerkstatt Wien 
Die Widerstandsbewegung gegen den Putsch gegen Präsident Manuel Zelaya im Jahr 2009 sorgte für einen demokratischen Aufbruch in dem von Gewalt, Korruption und Ungleichheit gezeichneten Land. Die Wahl vom 24. November 2013 stand im Zeichen der Herausforderung des traditionellen Zweiparteiensystems durch die neu gegründete Partei LIBRE.

Die Gründung der Partei „Libertad y Refundación“ (Freiheit und Neugründung, LIBRE), war innerhalb der Widerstandsbewegung scharf kritisiert worden: „Wozu bei Wahlen antreten gegen eine Oligarchie, die sich sämtlicher staatlicher Strukturen bemächtigt hat und vor einem Putsch nicht zurückschreckte?“, fragte damals Lorena Zelaya, Vertreterin des basisdemokratischen Flügels der Bewegung. Allzu wahrscheinlich schien es, dass die Rechte sich mit einem Wahlbetrug durchsetzen würde. Die mittlerweile vierte Delegationsreise der überregionalen Arbeitsgruppe HondurasDelegation hatte zum Ziel, die Menschenrechtssituation vor, während und nach der Wahl zu beobachten.



Berechtigte Bedenken
 
Heute zeigt sich, wie berechtigt Lorena Zelayas Bedenken waren. Die honduranischen Konservativen, verkörpert in erster Linie durch die regierende Nationale Partei, nutzte verschiedenste unlautere und auch illegale Mittel, den Wahlausgang zu beeinflussen. Sie stand dabei aber vor der Schwierigkeit, dass die Wahl unter großer nationaler und internationaler Aufmerksamkeit stattfand. Circa 1000 internationale Beobachter*innen waren zum Wahltag im Land.

Das Ergebnis der Wahl ist nach wie vor offen: Der von der Nationalen Partei dominierte Oberste Wahlrat (TSE) verkündete ein Ergebnis von 36,89% für den nationalen Kandidaten Juan Orlando Hernández, gegenüber 28,78% für die LIBRE-Kandidatin Xiomara Castro, Ehefrau des gestürzten Ex-Präsidenten Zelaya.

Die Partei LIBRE hat eine Neuauszählung der Stimmen beantragt, die derzeit im Gange ist – deren Auszählung der Urnen-Protokolle ergibt nach eigenen Angaben einen Vorsprung von 1,5 Prozentpunkten zugunsten von Castro. Auch die neu gegründete Antikorruptionspartei PAC hat das Ergebnis angefochten. Viele Beobachter*innen glauben aber nicht mehr daran, dass LIBRE und PAC sich mit der Anfechtung der Wahl werden durchsetzen können: Juan Orlando wurde vom TSE als Wahlsieger verkündet. Aus der Berichterstattung der von der Oligarchie dominierten honduranischen Medien ist das Thema bereits verschwunden, es werden nur Orlandos Vorbereitungen auf seine Machtübernahme Ende Januar präsentiert.

Umstrittenes Urteil der EU-Delegation
 
Ein nachgewiesener Vorsprung in der Auszählung der Urnen-Protokolle ist ein starkes Argument. Aber wie viel zählt es, wenn die Herrschaft des Establishments auf dem Spiel steht? - Hier wäre das Gewicht der internationalen Beobachtungsmissionen von entscheidender Bedeutung. Entgegen Erwartungen, diese hätten die offensichtlichen Unregelmäßigkeiten dokumentiert, haben einige profilierte Missionen bereits zwei Tage nach der Wahl ihre Zustimmung zum Wahlprozess verlautbart. Die Gruppe der EU, ein 100köpfiges Team aus Techniker*innen und EU-Parlamentarier*innen unter der Leitung der österreichischen Grünen MdEP Ulrike Lunacek, bezeichnete die Wahl in ihrem am 26. November vorgestellten vorläufigen Bericht als „transparent und friedlich“, nicht ohne eine Reihe teils gravierender Unregelmäßigkeiten, vor allem im Vorfeld, zu konstatieren. Dem Fakt, dass zu diesem Zeitpunkt drei der vier großen Parteien das Ergebnis anzweifelten, trug sie jedoch mit keinem Wort Rechnung. Die Mission des „Carter Center“ hatte darauf hingewiesen, dass das Ergebnis der Anfechtungen abzuwarten sei. Die Mission der Internationalen Menschenrechtsföderation FIDH hatte über ihren Sprecher, den spanischen Ex-Richter Baltazar Garzón, einen massiven Wahlbetrug durch den Kauf von Stimmen und von Wahlhelfer-Ausweisen konstatiert und auf die Auswertung der Anfechtungen verwiesen. Auch unsere HondurasDelegation, die sich ca. 250 weiteren internationalen Beobachter*innen dem Wahlbeobachtungsprogramm der Menschenrechtsorganisation COFADEH anschloss, beobachtete zahlreiche offensichtliche Verstöße, wie die Manipulation des Wahlregisters: „Sie haben es hier relativ einfach“, erklärte uns Juan Munguia, unabhängiger Lokaljournalist, im Landkreis San Esteban: „Bei den Vorwahlen (im November 2012, A.S.) gab es drei Abstimmungstische, je einen für die beiden traditionellen Parteien und einen für LIBRE. Die Wahlhelfer haben sich Listen angefertigt von den Wählern, die am Tisch der Partei LIBRE abgestimmt haben, und viele von denen erscheinen auf einmal als tot oder verzogen in den Wahlregistern.“ Die EU-Mission weist in ihrem Bericht auf eine Fehlerquote von 30% in den Registern hin.

Der österreichische Journalist Leo Gabriel, Angehöriger der EU-Mission, wies in einer eigenen Pressekonferenz darauf hin, dass eine Mehrheit der Beobachter*innen massive Verstöße auch am Wahltag selbst beobachtet habe, die aber im vorläufigen Bericht der Mission ignoriert worden seien: „ Angesichts dessen, was an diesem Sonntag passiert ist, von Transparenz zu sprechen, ist ein Witz. (…) Ich glaube, der Oberste Wahlrat hat die Ergebnisse nach einer genau vorbereiteten Kalkulation aus dem Ärmel gezogen.“ Warum die EU-Mission wohl eine Unwahrheit verbreiten sollte, will ein Reporter wissen. Gabriel vermutet: „Der Welt einen sauberen Wahlprozess in Honduras zu präsentieren dient der EU, ihre Wirtschaftsinteressen in der Region umzusetzen, und das ist vor allem das Assoziierungsabkommen EU-Zentralamerika.“

Harte Zeiten für soziale Bewegungen
 
Die Geschichte wird von den Sieger*innen geschrieben. Die sozialen Bewegungen in Honduras haben nur noch wenig Hoffnung auf einen Wechsel in der Politik. Sie bereiten sich auf harte Zeiten vor. Juan Orlando hat sich als pro-militärischer Hardliner und Verfechter neoliberaler Wirtschaftspolitik profiliert und wird so die Politik seines eher gesichtslosen Parteigenossen Porfirio Lobo verstärkt fortsetzen. Er ist sich dabei der Unterstützung der nationalen Unternehmer*innen und Großgrundbesitzer*innen, der im Land agierenden internationalen Konzerne, der Medien, weiter Teile des Staats- und Justizapparates und nicht zuletzt der US-Botschaft sicher. Teil seines Programms ist die Realisierung hunderter Minen- und Staudammprojekte. Viele Gemeinden, die sich gegen die Bedrohung ihres Territoriums zur Wehr setzen, sind mittlerweile gut vernetzt. Sie sehen sich einer Bedrohung gegenüber, bei der kriminelle „Sicherheitsdienste“ der investierenden Konzerne im Einklang mit Polizei, Militär, Medien und Justiz agieren. Berta Cáceres, Koordinatorin der Indigenen-Organisation COPINH: „Wir müssen jetzt in unseren Mobilisierungen darauf hinweisen, was es bedeutet, wenn dieser Typ Präsident wird“. Gegen COPINH ist bereits seit Monaten eine Kampagne im Gange, die von Verleumdung in den Medien über Kriminalisierung bis zur Stürmung von Dörfern durch schwer bewaffnete Polizisten und politische Morde reicht. Im Zentrum steht der Widerstand der Lenca-Gemeinden gegen das Staudammprojekt Río Blanco. Zwei Wochen nach der Wahl steht die Durchsetzung des Staudammbaus nun unmittelbar bevor.

Die Interessen von Oligarchie und multinationalen Konzernen werden in Honduras über Menschenrechtsverletzungen durchgesetzt. Die Ereignisse um die Wahl bilden da keine Ausnahme, und viele Aktivist*innen fühlen sich von den „internationalen Beobachter*innen“ wie denen der EU-Mission im Stich gelassen. Trotzdem: „Was wir jetzt mehr denn je brauchen, ist internationale Aufmerksamkeit“, sagt Betty Matamoros, Mitarbeiterin bei der NGO Alter Eco, die kommunitäre Radiosender berät. Der Frustration vieler ihrer Mitstreiter*innen hält sie entgegen: „Viele der neuen Parlamentsabgeordneten von LIBRE kommen aus unserer Bewegung. Wer sagt, dass das kein Fortschritt ist?“

Der Autor arbeitet beim Ökumenischen Büro München und bei der Arbeitsgruppe HondurasDelegation.  Er war Mitglied der Menschenrechtsdelegation zur Wahl im November.
Am 23.01.2013 18:30, veranstaltet die GBW-Wien gemeinsam mit dem Institut für Internationale Entwicklung der UNI Wien im Alois Wagner Saal des C3 eine Podiumsdiskussion zu den Wahlen in Honduras. Nähere Infos zur Veranstaltung folgen in kürze auf unserer Homepage.